Unter dem Motto "Ohne dich, Hellas ..." versammelt die 63. Ausgabe der Literaturzeitschrift "metamorphosen" Texte griechischer Autoren ...

Wir alle sind noch »Griechen«

»Süditalien. Pästum. Ein heißer Sommertag. Man liegt unter den Ruinen des dorischen Neptuntempels. Die sumpfige Ebene atmet warme Feuchtigkeit. Phantastisch rote und gelbe Blumen blühen im First des Tempels und zwischen den Steinfliesen. Farnkraut wuchert. Ein Himmel von frevelhaftem Blau. Fern ein kleines Gebirge. Leise singt das Meer. Eine Büffelherde trabt vorüber. Ihr Hirt: Pan, der die Syrinx bläst. Wer je dies Bild erlebte, weiß, was griechische Kultur bedeutet. Säulen, die den Himmel tragen und fest auf der Erde stehen. Ein unbedingtes Jasagen zur Sonne und allen Sinnen. Licht ist überall und überall eine weiche, warme Luft. Die Götter frieren nicht wie bei uns im kalten Norden, wo man ihnen dunkle Häuser baut, in die kein Regenschauer, aber auch kein Lichtstrahl dringt. Aber in Griechenland: was tat’s, wenn Neptun, des Wassers nie entwöhnt, einen Regenschauer abbekam? Er schüttelte sich triefend und lachte. Nach allen Seiten frei steht sein Tempel, allen Winden, den Schmetterlingen, den Raben, die in ihm horsten, dem treibenden Blumen- samen preisgegeben. Die Erde ist flach, keine Kugel, wie Kopernikus später entdeckte, sondern eine ungeheure Ebene, eine riesige Opferschale, auf der alles, was lebt, sich selber dem ersten, dem größten Gott opfert: dem lebendi- gen Leben. Der heilige Leib ist das Maß aller Dinge: der Jünglingskörper, der Frauenkörper. Der Kopf erscheint unwesentlich. Wen stört es bei der herrlichen Venus im Thermenmuseum in Rom, daß sie keinen Kopf hat? Griechenland siegte, wie die Nike von Samothrake, die Siegesgöttin, kopflos.«

Klabund (1890–1928), der in seiner »Literaturgeschichte« diesen expressio- nistischen Blick auf Griechenland warf, ist ganz aufs Altertum fokussiert – zur neugriechischen Epoche fallen ihm nur halbes Dutzend Namen ein, die heute hierzulande völlig vergessen sind. Zugegeben, zu seiner Zeit war letztere noch blutjung. Nun aber, ein Jahrhundert später, ist sie ein starker Zweig der großen europäischen Literaturen geworden. Mit Nobelpreisen geehrt wurden 1963 Giorgos Seferis, 1979 Odysseas Elytis; weltbekannt auch ohne schwedische Hilfe sind Konstantinos Kavafis, Nikos Kazantzakis, Jannis Ritsos, Mikis Theodorakis… zu entdecken aber doch noch viele andere! Und so haben wir Ihnen neben bisher Unveröffentlichtem der ›modernen Klassiker‹ auch eine kleine Auswahl der jüngeren Generationen zusammengestellt (sowie wieder einigen Deutschsprachigen die Gelegenheit gegeben zu beweisen, dass Klabund vielleicht ja doch Recht hat, wenn er schreibt: »wir alle sind noch ›Griechen‹ – auch wenn wir’s nicht wissen«).

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